Mythos: Stalking ist bloß ein Ausdruck von Liebe!

Projektarbeit 2020 I Geschätzte Lesezeit: 20 min

 

 

In dem US-amerikanischen Liebesfilm Wie ein einziger Tag (Originaltitel: The Notebook) beginnt mit dieser Szene die große Liebesgeschichte von Allie und Noah. Noah verliebt sich auf den ersten Blick in Allie. Die ist aber zunächst wenig begeistert und weist seine Bitte um ein Date zurück, was ihn dazu bringt zu einer „großen“ Liebesgeste zu greifen: Er droht damit sich vom Riesenrad fallen zu lassen, solange sie keinem Date zustimmt. Allie lehnt zunächst erneut ab, gerät schließlich aber so unter Druck, dass sie seinem Wunsch nachgibt. Später verliebt sich Allie in Noah. Und wie wir es nicht anders von Hollywood gewohnt sind, bleiben sie bis an ihr Lebensende ein Liebespaar. Diese und andere Szenen begegnen uns häufig in Liebesfilmen und -komödien. Sie lassen uns glauben, wer sich genug Mühe gibt, kann das Herz von Angebeteten gewinnen. Teils drehen sich ganze Streifen im Kreis von ständigen Eroberungsversuchen und wiederholter Zurückweisung (z.B. Verrückt nach Mary oder Management). Die Verehrer:innen verfolgen ihre:n Geliebte:n, um zufällige Begegnungen herbeizuführen oder stellen sich vor die Tür und singen Liebeslieder. Am Ende schweben die Beteiligten dann meistens gemeinsam auf Wolke Sieben. Ganz schön romantisch das alles oder sind wir da etwa in eine Falle getappt? Während wir so mit den Figuren im Film lachen und weinen, wird übersehen, dass die Handlungen aufdringlich sind, Grenzen überschreiten und an Stalking erinnern. Aber was hat Stalking tatsächlich mit einem harmlosen Liebeswahn zu tun, von dem sich die Angebeteten geschmeichelt fühlen?

In der Gesellschaft kursieren verschiedene Irrtümer zum Thema Stalking, welche bereits in wissenschaftlichen Studien untersucht wurden. Sowohl unter Polizist:innen, als auch unter medizinischem Fachpersonal und Laien sind Annahmen vertreten, dass Stalking eine Form der Liebesbekundung ist, von der sich die angebetete Person geschmeichelt fühlt.[1] Diesem Mythos wollen wir in diesem Artikel auf die Spur gehen. Dafür werfen wir einen Blick darauf, was genau Stalking ist, was die Motive der Täter:innen sind und welche Folgen es für die Opfer hat.

Let’s start: Was Stalking wirklich ist

Der Begriff stalken hat sich mittlerweile in unserer Alltagssprache etabliert. Suchen wir nach dem Instagram-Profil des süßen Typen aus der Uni, kommt schnell die Frage einer Freundin: „Wen stalkst du denn da schon wieder?“. So leicht einem das Wort über die Lippen geht, so schwer ist es, Stalking greifbar zu machen. Die Frage ist: Wo fängt Stalking an? Sich ein Instagram-Profil anzuschauen, reicht noch nicht aus, um von Stalking sprechen zu können. Was jedoch im Film romantisch und harmlos anmutet, deutet an, was in der Realität unter Stalking verstanden wird.

Der juristische Begriff des Stalkings entwickelte sich Ende der 80er Jahre in den Vereinigten Staaten, infolge des Mordes an der Schauspielerin Rebecca Schaeffer, die von ihrem Stalker Robert Bardo erschossen wurde. Daraufhin wurde ein Gesetzgebungsprozess angestoßen, welcher auch in Europa zum Umdenken anregte.[2] In Deutschland wurde der Straftatbestand der Nachstellung (Stalking) schließlich am 22. März 2007 ins Gesetz aufgenommen (BGBl. I S. 354). Da Stalking nicht immer mit handfesten körperlichen Schäden oder Sachschäden einhergeht, sondern sich häufig aus mehreren Verhaltensweisen zusammensetzt, welche jede für sich genommen keinen eigenen Straftatbestand erfüllt, muss die Definition im Strafgesetz entsprechend angelegt sein.[3] Im deutschen Strafgesetzbuch wird dem seit der letzten Änderung 2017 nachgegangen, indem beharrliche Verhaltensweisen, die die Lebensgestaltung einer Person potenziell schwerwiegend beeinträchtigen, als Stalking definiert werden (§ 238 Absatz 1 Satz 1 StGB). Darunter fallen auf der einen Seite Verhaltensweisen wie das Aufsuchen räumlicher Nähe zu den Opfern durch die Täter:innen (z.B. Auflauern nach der Arbeit)[4] oder die unerwünschte Kontaktaufnahme über verschiedene Kommunikationswege (z.B. Telefonanrufe, Briefe),[5] welche alleinstehend noch an aufdringliche Werbeversuche erinnern und in ihrer Summe Stalking ausmachen. Auf der anderen Seite schließt der Gesetzgeber auch Handlungen ein, die eindeutig die Intention haben Opfer zu schädigen. Dazu zählen zum einen der Missbrauch der Daten der Opfer und zum anderen Bedrohungen der Opfer selbst oder Angehöriger und tatsächliche Angriffe, die die Gesundheit der Opfer schädigen.

Definitionen im klinischen Kontext zielen darauf ab, ein grundlegendes Verständnis von Stalkingverhalten zu geben. Danach ist Stalking ein abnormales Verhaltensmuster, dass sich gegen eine bestimmte Person richtet. Es zeichnet sich durch die wiederholte Belästigung und Kontaktaufnahme gegen den Willen einer Person aus, welche sich über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen erstreckt.[6] Dabei ist nicht die Intention der Täter:innen entscheidend, sondern ob die Opfer diese Verhaltensweisen als angsteinflößend erlebt.[7] Während also der Typ aus der Uni nicht mitbekommt, dass sein Instagram-Profil unter die Lupe genommen wird, erlebt Allie das beklemmende Gefühl weiterhin bedrängt zu werden, nachdem sie bereits mehrfach abgelehnt hat.

Eine besondere Form des Stalkings hat sich im Rahmen der Digitalisierung entwickelt. Erfolgt die Nachstellung mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel wird sie als Cyberstalking bezeichnet.[8] Dazu gehört auch die Nutzung internetbasierter Aktivitäten im weiteren Sinne. Beispielsweise erhalten die Opfer von Cyberstalking wiederholt unerwünschte E-Mails. Sie haben aber auch mit der Veröffentlichung privater Informationen, welche Schaden anrichten oder als peinlich empfunden werden, und Identitätsdiebstahl zu kämpfen.[9]

Das Fallbeispiel soll Euch einen Eindruck vermitteln, wie Stalking in einem konkreten Fall aussehen kann und welche (juristischen) Schwierigkeiten das Opfer zu überwinden hat.[10]

 

Zahlen, Daten, Fakten

[11]

Stalking ist keine Seltenheit. 2019 wurden 20.204 Fälle von Stalking in Deutschland registriert.[12] Das Risiko einmal im Leben mit Stalking in Berührung zu geraten liegt bei 15 %, jedoch variiert es zwischen verschiedenen Personengruppen. Frauen sind mit 64,6 % deutlich häufiger betroffen als Männer. Entgegen der populären Annahme Stalker:innen seien meist Fremde sind 39,6 % der Täter:innen Ex-Partner:innen oder frühere Verabredungen. Als zweithäufigste Gruppe werden Nachbar:innen identifiziert, gefolgt von Fremden und Ehepartner:innen und schließlich zuletzt von Familienmitgliedern. Ebenso haben Personen, die allein in einem Haushalt leben, ein höheres Risiko gestalkt zu werden. Über alle Gruppen hinweg haben Täter:innen meist das andere Geschlecht als die Opfer. In 80,8 % der Fälle dauert das Stalking weniger als ein Jahr an; durchschnittlich sind es vier bis sechs Monate.[13]

Hinter der Fassade: Was hinter dem Verhalten von Stalker:innen steckt

Nun tut sich die Frage auf, warum Noah auf diese eindringliche Vorgehensweise zurückgreift, um Allie eine Einwilligung abzuringen. Was steckt hinter den Verhaltensweisen von Stalker:innen? Das zu verstehen, ist wichtig, um Risikofaktoren zu identifizieren, das Rückfallrisiko zu senken und angemessene Behandlungsangebote zu etablieren. Dadurch kann einerseits der Schutz der Opfer verbessert werden und andererseits den Stalker:innen geholfen werden, welche meist selbst durch das Stalking eingeschränkt sind.[14]

Die verschiedenen Arten von Stalker:innen können nach der primären Motivation des Stalkings unterschieden werden. So kann hinter dem Verhalten der Täter:innen einerseits der Versuch stecken, Zuneigung auszudrücken oder andererseits die Absicht Opfern zu schaden und dafür zu sorgen, dass sie sich schlecht fühlen. Dabei können anfangs noch romantische Intentionen vorliegen, welche erst bei Ablehnung in Ärger und Feindseligkeit umschlagen. Es kann jedoch auch von Anfang an das Bestreben der Täter:innen sein, ihre Opfer zu schikanieren und einzuschüchtern. Es kommt also häufig vor, dass die Emotionen der Täter:innen ambivalent sind. Aber auch die vorausgehende Beziehung zwischen Stalker:in und Opfer kann zur Klassifikation herangezogen werden.[15]

Durch die Verknüpfung dieser beiden Ansätze ergeben sich verschiedene Stalkingtypen, deren Stalkingverhalten unterschiedliche Funktionen erfüllt: Haben Täter:in und Opfer zuvor eine Beziehung zueinander gepflegt, gibt es jene, die das Ziel verfolgen ihre Ex-Partner:innen zurückzugewinnen oder sich an ihnen zu rächen. Eifersucht und Besitz als dominierende Charakteristiken der Zurückgewiesenen zeigen sich häufig sogar schon während der Beziehung dadurch, dass die Partner:innen häufig Vorwürfe von Untreue machen oder ihre Partner:innen kontrollieren. Und es gibt jene Stalker:innen, die ihren Opfern meist im beruflichen Kontext erstmals begegnen und diese als Repräsentanten einer abweisenden Welt betrachten. Sie sehen sich selbst als das eigentliche Opfer, das sich nur gegen stärkere Unterdrücker wehrt. Deshalb halten sie ihre Handlungen für gerechtfertigt und streben ebenso nach Vergeltung. Typisch für diese Gruppen sind dementsprechend Drohungen, gewalttätige Übergriffe sowie Handlungen, die das Opfer gezielt verängstigen sollen.[16] Wenn Täter:innen und Opfer weitestgehend fremde Personen sind, steckt meist ein Mangel an Liebe und Einsamkeit hinter dem Stalkingverhalten. Die Stalker:innen versuchen eine Intimbeziehung oder Freundschaft zu Fremden aufzubauen. Teils werden mit phantasierten Beziehungen reale Kontakte ersetzt, wobei sie nicht müde werden, auf Erfüllung zu hoffen und jede Zurückweisung im Sinne einer versteckten Liebesbotschaft zu deuten. Teils stecken soziale Schwierigkeiten dahinter, wobei sich die Täter:innen immer wieder neue Liebesobjekte suchen mit dem Gedanken, dass sie ein Recht auf Erwiderung hätten. Die Annäherungsversuche dieser Gruppen wirken zumeist sehr derb und aufdringlich.[17]

Symptome psychischer Probleme sind unter Stalker:innen weit verbreitet. Verurteilte Stalkingtäter:innen erfüllen zu 72,3 % die Diagnose für eine psychische Störung. Darunter eine große Zahl (46,0 %) mit einer Substanzstörung, 10,2 % mit einer psychotischen Störung und 49,6 % leiden unter einer Persönlichkeitsstörung. Bei einigen Täter:innen liegen mehrere Störungen gleichzeitig vor. Es gibt keine Unterschiede bezüglich der Auswahl ihrer Opfer oder Art der stalkingbezogenen Verhaltensweisen zwischen Stalker:innen mit und ohne klinische Diagnose. Insgesamt sind psychische Erkrankungen unter Stalker:innen in etwa so verbreitet wie in anderen Täter:innengruppen, jedoch treten sie häufiger als in der allgemeinen Bevölkerung auf.[18]

Die langen Schatten des Stalkings: Auswirkungen von Stalking auf die Opfer

Waghalsige Aktionen wie die von Noah in Wie ein einziger Tag stoßen in der Realität seitens der angebeteten Person selten auf Begeisterung. Ein Happy End ist fernab dessen, was die Opfer von Stalking erleben. Zwar mögen einzelne Stalkinghandlungen nicht den Anschein machen, dass sie gefährlich sind. In ihrer Summe jedoch ziehen sowohl die beharrlichen Annäherungsversuche als auch die offensichtlich schädigenden Verhaltensweisen vielseitige und schwerwiegende Folgen auf materieller, physischer und psychischer Ebene nach sich.

Unter materielle Schäden fällt zum Beispiel die Beschädigung von Eigentum oder das Bestellen von Konsumgütern, welche den Opfern ohne deren Einverständnis in Rechnung gestellt werden. Auch sehen sich die Opfer infolge der andauernden Belästigung zu nachhaltigen Veränderungen ihres Lebensstils gezwungen. Die Konsequenzen reichen vom Wechseln der Telefonnummer bis hin zum Verlust oder der Aufgabe des Arbeitsplatzes, Abbruch des Schulbesuchs oder Änderung des Wohnortes.[19] Für einen Teil der Opfer hat Stalking auch physische Folgen. Die Angaben über tatsächliche körperliche Angriffe liegen zwischen 34 %[20] und 56 %[21], jedoch sind schwere Fälle von Gewalt selten.[22] Etwa die Hälfte der Verfolger:innen bedroht die Angebeteten; manche gehen dabei sogar soweit Morddrohungen auszusprechen.[23] Gewalt wird dann besonders häufig verübt, wenn zuvor eine intime Beziehung zwischen Täter:innen und Opfern bestanden hatte, die Täter:innen unter Substanzmissbrauch leiden oder eine Gewaltgeschichte vorzuweisen haben.[24] Daneben haben die Opfer mit einer psychosozialen Belastung zu kämpfen. Um den Stalker:innen wenig Konfrontationspunkte zu geben, vermeiden viele Betroffene öffentliche Orte und fahren ihre sozialen Aktivitäten zurück, was den Verlust von Freundschaften bedeuten kann. Zugleich müssen sie sich um seelische Unterstützung und die Verfolgung juristischer Maßnahmen bemühen. Insgesamt erfordert das Stalking einen großen Aufwand für die Opfer.[25]

Wenn man das Spektrum an Belastungen betrachtet, ist es nicht erstaunlich, dass diese nicht spurlos an der Psyche der Betroffenen vorbeigehen. Die Gefühlslage von Stalkingopfern lässt sich mit Kontrollverlust und dem extremen Anstieg von Misstrauen gegenüber anderen Personen beschreiben.[26] Schlafstörungen, Appetitstörungen, Müdigkeit, Schwächegefühl und chronische Ängste gehören zu den negativen psychischen Auswirkungen.[27] Opfer von Stalking leiden signifikant häufiger an psychischen Störungen als Personen ohne Stalkingerfahrung. Dies gilt auch dann noch, wenn diese aktuell nicht mehr von Stalking betroffen sind. Häufig treten Depressionen und Panikstörungen auf.[28] Viele Opfer berichten zudem über posttraumatische Belastungssymptome - sie werden von Flashbacks geplagt und leben in ständiger Wachsamkeit.[29] Etwa ein Drittel der Betroffenen berichtet über Suizidgedanken.[30]

Es wird jedoch nicht jede:r gleichermaßen durch Stalking beeinträchtigt. Zum einen können Merkmale des Stalkings Unterschiede in der mentalen Gesundheit erklären: Lässt die Häufigkeit der Stalkinghandlungen nach, haben die Opfer weniger psychische Probleme.[31] Wird den Opfern hingegen Gewalt angedroht, sind die psychosozialen Auswirkungen negativer.[32] Zum anderen müssen personenbezogene Faktoren betrachtet werden: Personen, die ungeeignete Bewältigungsstrategien anwenden, leiden stärker unter Stalking. Ungünstig wäre dabei beispielsweise ein vermeidender Bewältigungsstil, bei dem das Opfer versucht sich abzulenken und Fluchtverhalten zeigt.[33][34] Aber auch anhaltendes Grübeln über die Situation und Selbstbeschuldigungen schlagen sich in Form von Depressionen, Ängsten und posttraumatischen Belastungssymptomen auf das Wohlbefinden nieder.[35]

Im Rahmen von Hilfsangeboten und Therapien ist es dementsprechend sinnvoll, die Bewältigungsstrategien der Opfer zu verbessern. Denn hierbei handelt es sich um veränderbare Risikofaktoren, welche helfen können, die allgemeine Anfälligkeit für psychische Probleme zu verringern. Außerdem scheint sich aufdringliches Verhalten erst dann erheblich negativ auf die Psyche auszuwirken, wenn dies länger als zwei Wochen andauert.[36] Dabei leistet die geeignete Gesetzgebung einen entscheidenden Beitrag zum Opferschutz, indem sie der Polizei ein frühes Einschreiten erlaubt.[37]

 

 

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Über die Wahrnehmung von Stalking und ihre Bedeutung

Nun ist Hollywood die eine Sache. Nicht alles, was uns dort erzählt wird, können wir glauben. Manchmal ist dies offensichtlicher, manchmal weniger. Wenn Harry Potter auf einem Besen durch die Lüfte reitet, dann hat das wohl keine Auswirkungen auf unser Weltbild. Jedoch konnte bereits gezeigt werden, dass Filme unsere Urteilsbildung und Verhaltensweisen beeinflussen können.[38] Wie wirkt sich also die Darstellung solch allgegenwärtiger Themen wie Liebe und Partnerschaft in den Medien auf unsere Wahrnehmung aus? Wie formt sich unser Bild von Stalking, wenn wir die Noahs der Filmindustrie beobachten, deren grobe und zugleich romantisch anmutende Eroberungsversuche von Erfolg gekrönt sind?

Je nach Filmgenre werden unterschiedliche Emotionen zu Stalking vermittelt. In Romantikkomödien wird Stalking beispielsweise häufig harmlos und humorvoll präsentiert, während Dramen oder Thriller die brutalen Facetten und den furchteinflößenden Charakter von Stalking hervorheben. Insbesondere, wenn solche Filme als realistisch empfunden werden, wirken sie sich auf unsere Wahrnehmung von Stalking aus. So erhöht das Anschauen von romantischen Filmen kurzfristig die Unterstützung von Stalkingmythen, wohingegen nach dem Betrachten einer beängstigenden Inszenierung von Stalking die Zustimmung zu Mythen abnimmt.[39] Bei Stalkingmythen handelt es sich um irrtümliche Vorstellungen über Stalking. Sie umfassen die Annahmen, dass Stalking nicht ernst zu nehmen sei (z.B. „Stalker sind nervig, aber sie sind keine Kriminellen.“), dass Stalking romantisch sei (z.B. „Einem Mann sollte es erlaubt sein, einer Frau bis zu einem gewissen Grad nachzustellen, wenn dies Teil einer Romanze ist.“) und dass die Opfer eine Mitschuld trügen (z.B. „Eine Frau wird eher gestalkt, wenn sie nicht eindeutig Nein sagen kann.“).[40] Auf der einen Seite können Medien also einen prosozialen Effekt haben und Stalkingmythen abschwächen, insbesondere wenn sie Verhaltensmuster zeigen, die dem Opfer eindeutig schaden sollen. Auf der anderen Seite fördern sie falsche Annahmen, wenn sie Stalking als harmlose und normkonforme Verhaltensweisen darstellen, die maximal als missglückte grobe Annäherungsversuche verstanden werden können.

Nachdem wir uns mit der Frage beschäftigt haben, wie Stalkingmythen durch Filme beeinflusst werden, werfen wir nun einen Blick auf die Verbreitung von Mythen zu Stalking und deren Auswirkung auf unser Verhalten. Studien haben ergeben, dass Männer Stalkingmythen mehr unterstützen als Frauen.[41][42] Sie stufen Stalkinghandlungen häufiger als romantisch und normativ ein, um eine Beziehung zu retten oder die Zuneigung einer Frau zu gewinnen. Darüber hinaus wurde im Speziellen die Einstellung von Fachkräften, welche mit Stalkingtäter:innen sowie -opfern zusammenarbeiten untersucht. Polizist:innen sowie Zivilpersonen sehen Stalkingverhaltensweisen teilweise als missverstandene romantische Annäherungsversuche an. Identifizieren Polizist:innen jedoch ein Verhalten als Stalking, nehmen sie dieses ernster als Zivilpersonen[43] und erkennen ihre berufliche Verantwortung an.[44] Außerdem schätzen Polizist:innen, die auf häusliche Gewalt spezialisiert sind, gegenüber normal ausgebildeten Polizist:innen Stalking eher als Gefahr für die Opfer ein und halten ein Eingreifen der Polizei für erforderlich.[45] Seitens der Opfer zeichnet sich ein ähnliches Verhaltensmuster ab: Beurteilen diese Stalkinghandlungen als Verbrechen, neigen sie eher dazu, sich an die Polizei zu wenden.[46] Zusätzlich spielen die Reaktion und die Ausprägung von Stereotypen in der Umwelt der Opfer eine Rolle. Wird den Opfern eine Mitschuld gegeben,[47] wodurch die Täter:innen entlastet werden,[48] kann dies eine zusätzliche psychische Belastung darstellen. Eine häufige Konfrontation mit Stalking sowie ein umfangreiches Wissen können also dazu beitragen, die Problematik von Stalking besser zu erkennen, was für eine angemessene Unterstützung der Opfer von entscheidender Bedeutung ist. Annahmen über Stalking entscheiden jedoch nicht nur über die Ableitung von Handlungsmaßnahmen seitens der Polizei oder die Suche nach Hilfe seitens der Opfer, sondern sie spielen auch für das Erfahren und Ausüben von Stalking eine Rolle. Collgestudent:innen, die selbst schon gestalkt hatten, gaben eine größere Zustimmung zu Stalkingmythen an. Überdies wurden Frauen, die Mythen zum Thema Stalking mehr unterstützten, auch häufiger Opfer.[49]

Back to reality: Stalking – Ein unterschätztes Verbrechen

Wenn wir zurück an Noah und Allie auf dem Riesenrad denken, können wir unsere rosarote Brille abnehmen. Stellen wir uns vor, diese Szene passiere im wahren Leben: Wer wäre davon begeistert, wenn ein ungebetener Verehrer droht sich das Leben zu nehmen, nur weil man nicht für ein Kennenlernen bereit ist? Vermutlich die wenigsten. Vielleicht müssen wir uns eingestehen, dass die romantischen Emotionen, die uns hier präsentiert werden und die wir empfinden nicht so angemessen sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Nicht jedes Mittel ist gerechtfertigt und schon gar nicht erfolgreich, um eine:n Angebetete:n für sich zu gewinnen. Stalking als gut gemeinte Liebesbekundungen zu verstehen, über die sich ein Opfer womöglich noch freut, ist fernab der Realität. Stattdessen gilt es klar anzuerkennen, unter welchen psychischen Belastungen die Opfer leiden und welche Absichten der Täter:innen dahinterstehen.

Wir haben gelernt, dass Stalkingopfer nur zu gut darüber berichten können, wie erschreckend, störend und unangenehm es ist, mit Liebesbriefen überhäuft zu werden, die man nicht lesen will, oder Blumen geschenkt zu bekommen, die man direkt wieder in den Müll werfen möchte. Denn als Liebesbeweise getarnt, steckt hinter dem Terror oft eine andere Motivation. Deutlicher wird dies, wenn wir die Bandbreite an möglichen Stalkinghandlungen betrachten. Opfer zu verfolgen, ihnen aufzulauern und sie körperlich anzugreifen, verleihen den Täter:innen unter Umständen ein Gefühl von Macht und Kontrolle, oder dient der Befriedigung von Rachlust. Da können die Opfer noch so deutlich Nein sagen, die Stalker:innen bleiben hartnäckig. Für die Opfer zieht diese Tortur dann oft schwerwiegende Folgen nach sich. Psychische Störungen und Veränderungen des Lebensstils sind häufig das Ergebnis.

Um Stalking entgegen zu treten gilt es also die Ernsthaftigkeit der Lage zu erkennen und sowohl für Opfer als auch Täter:innen entsprechende Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört auch sich von den romantisch verklärten Liebesgeschichten Hollywoods distanzieren zu können, wenn die Realität dies erfordert.

 

Rechtspsychologie zum Mitmachen: Talking about Stalking

Wie wir beim Lesen gelernt haben, ist es wichtig Stalking zu erkennen, ernst zu nehmen und sich Hilfe zu suchen. Deswegen wollen wir Euch anregen, einmal über Eure persönlichen Erfahrungen nachzudenken, mit einer vertrauten Person zu sprechen oder selbst Ansprechpartner:innen zu sein. Möglicherweise könnt Ihr mit Euren Erfahrungen oder Eurem Wissen jemandem helfen und selbst etwas lernen. Die folgenden Fragen, können Euch dabei helfen ins Gespräch zu kommen:

Fragen zum Thema Stalking - Gesprächsleitfaden

 

Referenzen

[1] McKeon, B., McEwan, T. E. & Luebbers, S. (2015). “It's Not Really Stalking If You Know the Person”: Measuring Community Attitudes That Normalize, Justify and Minimise Stalking. Psychiatry, Psychology and Law, 22(2), 291-306.

Let’s start: Was Stalking wirklich ist

[2] Pathé, M. (2009). What is stalking? In M. Pathé (Hrsg.), Surviving Stalking (S. 7-14). Cambridge: Cambridge University Press.

[3] Pathé, M. (2009). What is stalking? In M. Pathé (Hrsg.), Surviving Stalking (S. 7-14). Cambridge: Cambridge University Press.

[4] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). Stalking: a problem behaviour. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 1-10). Cambridge: Cambridge University Press.

[5] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). Stalking: a problem behaviour. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 1-10). Cambridge: Cambridge University Press.

[6] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). Stalking: a problem behaviour. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 1-10). Cambridge: Cambridge University Press.

[7] Pathé, M. (2009). What is stalking? In M. Pathé (Hrsg.), Surviving Stalking (S. 7-14). Cambridge: Cambridge University Press.

[8] Pathé, M. (2009). What is stalking? In M. Pathé (Hrsg.), Surviving Stalking (S. 7-14). Cambridge: Cambridge University Press.

[9] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). Cyberstalking. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 152-156). Cambridge: Cambridge University Press.

[10] Pathé, M. (2009). What is stalking? In M. Pathé (Hrsg.), Surviving Stalking (S. 7-14). Cambridge: Cambridge University Press.

Zahlen, Daten, Fakten

[11] Hellmann, D. F. & Kliem, S. (2015). The prevalence of stalking: Current data from a German victim survey. European Journal of Criminology, 12(6), 700-718.

[12] Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2019). PKS Jahrbuch 2019, Band 2 Opfer, Version 1.0. Wiesbaden: Bundeskriminalamt.

[13] Hellmann, D. F. & Kliem, S. (2015). The prevalence of stalking: Current data from a German victim survey. European Journal of Criminology, 12(6), 700-718.

Hinter der Fassade: Was hinter dem Verhalten von Stalker:innen steckt

[14] Nijdam-Jones. A., Rosenfeld, B., Gerbrandij, J., Quick, E. & Galietta, M. (2018). Psychopathology of Stalking Offenders: Examining the Clinical, Demographic, and Stalking Characteristics of a Community-Based Sample. Criminal Justice and Behavior, 45(5), 712-731.

[15] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). Stalking typologies and classifications. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 58-68). Cambridge: Cambridge University Press.

[16] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). The rejected stalker and the resentful stalker. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 69-81). Cambridge: Cambridge University Press.

[17] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). The intimacy seeker and the incompetent suitor. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 82-91). Cambridge: Cambridge University Press.

[18] Nijdam-Jones. A., Rosenfeld, B., Gerbrandij, J., Quick, E. & Galietta, M. (2018). Psychopathology of Stalking Offenders: Examining the Clinical, Demographic, and Stalking Characteristics of a Community-Based Sample. Criminal Justice and Behavior, 45(5), 712-731.

Die langen Schatten des Stalkings: Auswirkungen von Stalking auf die Opfer

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[20] Pathé, M. & Mullen, P. E. (1997). The impact of stalkers on their victims. The British Journal of Psychiatry: The Journal of Mental Science, 170(1), 12-17.

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[22] Rosenfeld, B. (2004). Violence Risk Factors in Stalking and Obsessional Harassment. Criminal Justice and Behavior, 31(1), 9-36.

[23] Blaauw, E., Winkel, F. W., Arensman, E., Sheridan, L. & Freeve, A. (2016). The Toll of Stalking. Journal of Interpersonal Violence, 17(1), 50-63.

[24] Rosenfeld, B. (2004). Violence Risk Factors in Stalking and Obsessional Harassment. Criminal Justice and Behavior, 31(1), 9-36.

[25] Pathé, M. & Mullen, P. E. (1997). The impact of stalkers on their victims. The British Journal of Psychiatry: The Journal of Mental Science, 170(1), 12-17.

[26] Mullen, P. E., Pathé, M., & Purcell, R. (2008). The victims of stalkers. In P. E. Mullen, M. Pathé, & R. Purcell (Hrsg.), Stalkers and their Victims (S. 35-57). Cambridge: Cambridge University Press.

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[30] Blaauw, E., Winkel, F. W., Arensman, E., Sheridan, L. & Freeve, A. (2016). The Toll of Stalking. Journal of Interpersonal Violence, 17(1), 50-63.

[31] Blaauw, E., Winkel, F. W., Arensman, E., Sheridan, L. & Freeve, A. (2016). The Toll of Stalking. Journal of Interpersonal Violence, 17(1), 50-63.

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[37] Pathé, M. (2009). What is stalking? In M. Pathé (Hrsg.), Surviving Stalking (S. 7-14). Cambridge: Cambridge University Press.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Über die Wahrnehmung von Stalking und ihre Bedeutung

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[40] McKeon, B., McEwan, T. E. & Luebbers, S. (2015). “It's Not Really Stalking If You Know the Person”: Measuring Community Attitudes That Normalize, Justify and Minimise Stalking. Psychiatry, Psychology and Law, 22(2), 291-306.

[41] McKeon, B., McEwan, T. E. & Luebbers, S. (2015). “It's Not Really Stalking If You Know the Person”: Measuring Community Attitudes That Normalize, Justify and Minimise Stalking. Psychiatry, Psychology and Law, 22(2), 291-306.

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[44] Kamphuis, J. H., Galeazzi, G. M., De Fazio, L., Emmelkamp, P. M. G., Farnham, F., Groenen, A., James, D., Vervaeke, G. (2005). Stalking: perceptions and attitudes amongst helping professions. An EU cross-national comparison. Clinical Psychology & Psychotherapy, 12(3), 215-225.

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